ASC-Tagung 2012
Gemeinsame Jahrestagung des Arbeitskreises Sozialwissenschaftliche Chinaforschung (ASC) der DGA und des BMBF-Kompetenznetzes „Regieren in China“
Universität Tübingen, 23.-24. November 2012
Konferenzbericht von Elena Meyer-Clement, ASIEN 126 (S. 116–118)
Wie bereits in den zwei vorangehenden Jahren tagte der Arbeitskreis Sozialwissenschaftliche Chinaforschung (ASC) auch in diesem Jahr zusammen mit dem BMBF-geförderten Kompetenznetz „Regieren in China“. Die Tagung fand wieder großen Anklang – über 40 Mitglieder des nun fast 70 sozialwissenschaftlich arbeitende Chinaforscherinnen und -forscher umfassenden ASC kamen nach Tübingen – und die Kooperation erlaubte auch wieder die Einladung renommierter Forscherinnen und Forscher aus dem Ausland.
Das erste Panel fokussierte unter dem Titel „Stratification and Social Identities“ den Wandel sozialer Identitäten in China und fragte nach den analytischen Implikationen dieser Prozesse. Björn Alpermann (Universität Würzburg) stellte erste Ergebnisse eines größeren Forschungsprojektes zu sozialem Statuswandel in China vor, welches sich nicht weniger zum Ziel gesetzt hat als eine neue, dynamische Konzeptualisierung sozialer Schichtungsprozesse. Auch der folgende Beitrag von Andrew Kipnis (Australian National University) verwies auf die Problematik klassischer Analyseansätze sozialen Wandels in einem Transformationsland wie China. Mit einer umfassenden anthropologischen Studie verschiedener Bevölkerungsgruppen, die sich im Laufe der Entwicklung einer chinesischen Kleinstadt zu einer mittelgroßen Stadt mit eigenem Industriegebiet neu angesiedelt haben, zeigte er wie divers die sozialen Konsequenzen von Urbanisierung in China sein können. Der Panel-Kommentar von Carolyn L. Hsu (Colgate University) bereicherte die Auseinandersetzung vor allem durch eine Verbindung beider Beiträge und ihrer verschiedenen Schwerpunktsetzungen auf Narrative bzw. infrastrukturelle Entwicklungen. Sie brachte dabei auch die klassischen Theorien sozialen Wandels und die Bedeutung, die verschiedene Kapitalformen und sozio-ökonomische Strukturen für soziale Identitätsbildung spielen können, zurück in die Diskussion.
Der späte Nachmittag war durch zwei individuelle Beiträge gefüllt. Lena Springer (Universität Wien) und Katja Pessl (Universität Göttingen) stellten Ergebnisse ihres Forschungsprojekts zur sozialen Mobilität von chinesischen Migranten in der Stadt Wien vor und lieferten damit eine interessante Ergänzung zu den vorangehenden Beiträgen aus einer transnationalen Perspektive. Statt der üblichen Fokussierung auf Migrationskulturen schlugen sie eine Annäherung an die Frage nach der sozialen Mobilität von Migranten auf Grundlage ihrer Qualifikationen und deren Nutzung im Zielland vor. Zum Abschluss des Tages stellte Tobis Voß (Universität Köln) sein Promotionsprojekt zur chinesischen Forschung über das Thema der Einkommensverteilung vor. Mit einer amüsanten Präsentation erläuterte er seinen diskursanalytischen Ansatz, der es ermöglichen soll verschiedene Diskurstypen zwischen 1992 und 2002 aufzuzeigen, und schließlich auch die Frage nach der Bedeutung der Forschung für die Politikberatung zu erhellen.
Der nächste Vormittag wurde ausgefüllt durch ein Panel über lokale Politikimplementierung in China. Mei Ciqi (Tsinghua University) stellte einen Artikelentwurf vor, in dem er zusammen mit Margeret Pearson (University of Maryland) nach der Effektivität des sich wandelnden Kadersystems fragte. Das Fallbeispiel befasste sich mit der 2003 eingeführten Regelung, die das persönliche „zur Verantwortung ziehen“ (wen ze zhi ) einzelner Kader ermöglicht, und umfasste einen interessanten Datensatz über das Rückkehrverhalten der in Ungnade gefallenen Kader. Genia Kostkas (Frankfurt School of Finance and Management) Beitrag über die lokale Umsetzung umweltpolitischer Ziele stellte die Frage in den Mittelpunkt, ob der verstärkte Rückgriff auf „harte“ verbindliche Ziele eigentlich ein sinnvolles Instrument der Umweltpolitik ist. Neben der Signalwirkung solcher Ziele zeigte sie weitere beabsichtigte und unbeabsichtigte Folgen der lokalen Implementierungsprozesse in drei Provinzen auf und kam zu dem Schluss, dass das System noch flexibler werde müsse. Anna Ahlers (Universität Tübingen) befasste sich im letzten Beitrag des Panels mit dem Bau „neuer ländlicher Nachbarschaftsviertel“ als einer eigenen chinesischen Urbanisierungsstrategie. Ihre Analyse der Strategien lokaler Kader in zwei Provinzen konzentrierte sich auf die politischen und technischen Prozesse, die mit dem Bau und der Umsiedlung der Bewohner verbunden sind, und es zeigte sich, dass diese durchaus zu einer effektiven Umsetzung der nationalen Politik führen können. Der anschließende Panel-Kommentar von Andrew Kipnis (Australian National University) belebte die Diskussion unter anderem mit Anregungen zu der sinnvollen Nutzung von erhobenen Daten und wies auf die Problematik der Risikoverteilung bei politischen Implementierungsprozessen hin.
Nach der Mittagspause teilte Zhao Shukai vom Development Research Center des Staatsrats seine Einschätzungen des vor kurzem beendeten 18. Parteitags und den wichtigsten Herausforderungen der neuen Führung. Der Besuch des Forschers wurde in der anschließenden Diskussion unter anderem für Nachfragen zu den aktuellen politischen Konzepten und Instrumenten in China genutzt.
Das letzte Panel der Tagung kreiste um Technologie und Innovation in China. Christian Göbel (Universität Heidelberg) ging der Frage nach, wie es die chinesische Führung versteht, die staatlich geförderten Informations- und Kommunikationstechnologien zu kontrollieren. Anhand von Beispielen verschiedener Überwachungs- und Kontrolltechnologien zeigte er, dass es die Führung durchaus schafft, sich diese Technologien sogar selbst zunutze zu machen. Im Anschluss stellte Cora Jungbluth (Bertelsmann Stiftung) ihr Forschungsprojekt zur Entwicklung der Solarindustrie in China vor. Anhand institutioneller Wandlungsprozesse in der chinesischen Umweltpolitik und am Beispiel der Solarstadt Dezhou ging sie der Frage nach, wie sich Innovation in China entwickelt. Den Abschluss der Tagung bildete ein Beitrag von Maximilian Mayer (Universität Bonn), der danach fragte, wie innovativ China im Weltvergleich ist, und wie man dies messen kann. Nach einer Kritik an den bisher üblichen Vergleichsinstrumenten und dem Konzept der „Nationalen Innovationssysteme“ im globalisierten Kontext stellte er seinen alternativen Ansatz vor, der sich neben der Frage nach den makropolitischen Zielen eines Staates in Anlehnung an Schumpeter sehr viel mehr auf unternehmerisches Handeln als Kernfaktor für Innovation konzentriert.
Insgesamt betrachtet zeichneten anderthalb Tage anregende Vorträge samt spannender, ausgiebiger Diskussionen, eine Vielzahl an Themen und interessante Forschungsprojekte in den verschiedensten Stadien ein ausgezeichnetes Bild der sozialwissenschaftlichen Chinaforschung in Deutschland.
Elena Meyer-Clement