ASC-Tagung 2010
Gemeinsame internationale Konferenz des Arbeitskreises Sozialwissenschaftliche Chinaforschung (ASC) in der DGA und des Kompetenznetzes „Regieren in China“
Würzburg, 26.-28. November 2010
Konferenzbericht von Maria Bondes und Sandra Heep, ASIEN 119 (S. 86–89)
Im November 2010 fand die erste gemeinsame Konferenz des ASC und des vom BMBF geförderten Kompetenznetzes „Regieren in China“ in Würzburg statt. Die erste gemeinsame Konferenz war durch eine stark gewachsene Zahl an jungen Nachwuchsmitgliedern geprägt, was gemeinsam mit den renommierten internationalen Gästen zu einer anregenden Atmosphäre und einer lebhaften Diskussion auf hohem akademischem Niveau beitrug. Auch das gewählte Tagungsformat – Kurzpräsentation zuvor eingereichter Beiträge und Kommentierung durch einen Korreferenten im Rahmen von Panels – förderte eine inspirierende Debatte und wurde von den Teilnehmern begrüßt.
Durch das Panel-Format wurden drei thematische Schwerpunkte gesetzt. Ein Fokus lag auf Innovation und institutionellem Wandel, ein weiterer Schwerpunkt auf dem Lokalstaat, ein dritter auf Medien und Propaganda. In den Diskussionen kristallisierten sich zwei themenübergreifende Fragen heraus: Zum einen das methodische Problem sozialwissenschaftlicher Feldforschung in China, zum anderen die Frage nach der politik- und handlungspraktischen Relevanz von Diskursen und deren Überprüfbarkeit.
Den Einstieg in das erste Panel bildete ein Vortrag von Marcus Conlé, der die Frage aufwarf, inwieweit neue Technologien wirtschaftliche Aufholprozesse ermöglichen. Auf Basis statistischer Auswertungen und explorativer Interviews im pharmazeutischen Sektor gelangte Conlé zu dem Ergebnis, dass die Struktur der chinesischen Wissenschaftslandschaft einer wissensbasierten Entwicklung zuträglich ist, dieser jedoch Probleme im Bereich von Regulierung und Kapitalmarktstruktur im Wege stehen.
Sebastian Heilmann beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der Rolle von zentralstaatlicher Planung in China, die in den letzten Jahren wieder stark an Bedeutung gewonnen habe. Er erläuterte die Besonderheit der chinesischen Entwicklungsplanung, in der von der Zentralregierung definierte Entwicklungsziele durch das Experimentieren mit unterschiedlichen Politikinstrumenten auf lokaler Ebene erreicht werden sollen. Heilmann plädierte dafür, sich bei der Analyse der aktuellen chinesischen Entwicklungsplanung weniger auf institutionelle Unzulänglichkeiten als vielmehr auf den Prozess der Planung zu konzentrieren.
Ching Kwan Lee und Zhang Yonghong stellten die Frage, wie es dem heutigen China vor dem Hintergrund wachsender sozialer Proteste gelingt, Stabilität zu wahren. Auf Basis ethnographischer Feldforschung in Shenzhen und Beijing kamen sie zu dem Schluss, dass die Proteste keine gravierende Gefahr für die Kommunistische Partei darstellten. Gesellschaftlicher Druck werde selten auf die Zentralregierung, sondern primär auf den Lokalstaat ausgeübt. Die Wahrung von Stabilität gelinge diesem unter anderem durch die Ausweitung von politischen Rechten und institutionelle Anpassung.
Elena Meyer-Clement untersuchte in ihrem Vortrag die politischen Implikationen des gegenwärtigen institutionellen Wandels in der chinesischen Kulturindustrie. Sie argumentierte, dass es dem Parteistaat in der Filmindustrie besser als in der Musikindustrie gelungen sei, trotz wirtschaftlicher Liberalisierung die politische und ideologische Kontrolle aufrecht zu erhalten.
Das zweite Panel war dem von Thomas Heberer und Gunter Schubert geleiteten Forschungsprojekt zur Rolle von Kadern als strategischen Gruppen im Lokalstaat gewidmet. Thomas Heberer und René Trappel gingen in ihrem Vortrag der Frage nach, warum der chinesische Lokalstaat große Erfolge beim Anstoß nachhaltigen politischen Wandels zu verzeichnen hat. Auf Grundlage umfassender Feldrecherchen untersuchten sie dies am Beispiel politischer Evaluationsprozesse. Diese dienten weniger der Kontrolle von lokalen Kadern als vielmehr der Stärkung des Gruppenzusammenhalts, da lokale Kader nur durch Kooperation eine positive Evaluierung sicherstellen könnten. Strategische Gruppen fungierten dabei zum einen als Instrument gegenseitiger Überwachung und stellten zum anderen die erfolgreiche Umsetzung von Entwicklungszielen sicher.
Ein weiterer Aspekt des Forschungsprojekts wurde in dem Vortrag von Anna Ahlers und Gunter Schubert zur Umsetzung der Politik des „Aufbaus Neuer Sozialistischer Dörfer“ beleuchtet. Ahlers und Schubert zufolge beruht die Systemstabilität im ländlichen China seit der Fiskalreform der 2000er Jahre auf der Kompatibilität der Interessen von Zentralregierung und lokalen Kadern. Die Vortragenden kamen zu dem Ergebnis, dass strategische Gruppen als effektive Agenten des Zentralstaates bei der Implementierung lokaler Politiken und bei der Bereitstellung öffentlicher Güter fungieren und so einen wichtigen Beitrag zu Systemstabilität und Regimelegitimität leisten.
Der zweite Teil des Panels war einer Diskussion über die Forschung zu Local Governance in China gewidmet. Angeregt wurde die Diskussion durch den Input zweier führender Forscher auf diesem Gebiet, Vivienne Shue und Stig Thøgersen. Vivienne Shue ließ in ihrer inspirierenden Reflexion der Geschichte der Erforschung des chinesischen Lokalstaates seine großen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten und die Forschritte der Disziplin Revue passieren. Für die Zukunft sprach sie sich für einen prozessorientierten Forschungsansatz und einen stärkeren Wiedereinbezug von Ideologie aus.
Stig Thøgersen erzählte aus seiner reichen Feldforschungserfahrung und unterstrich die Notwendigkeit, ins Feld zu gehen und dabei auch den gesellschaftlichen Alltag der Menschen kennen und verstehen zu lernen. Dabei reflektierte er auch die methodischen Probleme von Feldforschung in China und die Herausforderung, im Feld sowohl an offizielle Informationen als auch offene Auskünfte aus der Bevölkerung zu gelangen. Während ein offiziell organisierter Feldaufenthalt häufig Misstrauen in der Bevölkerung hervorrufe, verhindere ein selbstorganisierter Aufenthalt oft den Zugang zu Kadern und offiziellen Dokumenten. Thøgersen plädierte daher für eine reflektierte Kooperation mit chinesischen Kollegen.
Auf Grundlage dieser Inputs entbrannte eine lebhafte Diskussion über die Methoden der sozialwissenschaftlichen Chinaforschung, insbesondere über Probleme bei der Feldforschung und der Erhebung valider Daten. In der Diskussion wurde vor allem auf die Notwendigkeit und das Potential der Anpassung von Methoden eingegangen. Zudem wurde dazu aufgefordert, in der Chinaforschung die Erkenntnisse aus anderen Disziplinen und Weltregionen zu berücksichtigen und in China bei der Untersuchung des Lokalstaates nicht das „big picture“ aus den Augen zu verlieren.
Den Auftakt des dritten Panels zu Medien und sozialen Identitäten in China bildete Felix Wemheuers Vortrag über die diskursive Konstruktion des chinesischen Wanderarbeiters als unzivilisiertem „Fremden“. Wemheuer zeigte, wie Wanderarbeiter im offiziellen Diskurs über ihre Sexualität als „gefährliche und unzivilisierte Klasse“ dargestellt werden und so als Bedrohung für soziale Stabilität, moralische Ordnung und Gesundheit in städtischen Zentren wahrgenommen werden.
Christian Göbel widmete sich in seinem Vortrag der Bedeutung von offizieller Propaganda bei der Organisation des ländlichen Raumes. Er untersuchte, welche Rollen dem Zentralstaat, den Kadern und der ländlichen Bevölkerung im offiziellen Diskurs über die Entwicklung des ländlichen Raumes zugeschrieben werden. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass sich die Zentralregierung zweier diskursiver Strategien bedient. Während lokale Kader mit der „rule by divsion“-Strategie lange gegen die Bevölkerung ausgespielt worden seien, würden in der heutigen „strength by unity“-Strategie Zentrum, Kader und Bevölkerung als Partner in einem umfassenden Modernisierungsprojekt verstanden.
Den Abschluss der Konferenz bildete ein Vortrag von Daniela Stockmann, demzufolge Public Service Advertisements (PSA) eine bedeutende Rolle in der chinesischen Propaganda spielen und die zunehmend pluralistische Gesellschaft zusammenhalten sollen. Anhand von Experimenten untersuchte Stockmann die Auswirkung von PSAs auf politische Einstellungen. Gemeinsam mit ihren Koautorinnen kam sie zu dem Ergebnis, dass PSAs einen starken Einfluss auf politische Überzeugungen haben und daher ein wirksames Instrument zur politischen Meinungsbildung darstellen.
Insgesamt zeigten sich die Teilnehmer sehr zufrieden mit dem Verlauf der Konferenz und beschlossen, auch die nächste ASC-Tagung gemeinsam mit dem Kompetenznetz abzuhalten. Die nächste Konferenz wird vom 09. bis 11. Dezember 2011 in Hamburg stattfinden.
Maria Bondes und Sandra Heep